Entstehung und Entwicklung des Priis-Chlepfens
Mit der
Mechanisierung der Landwirtschaft vor und nach dem zweiten Weltkrieg des
letzten Jahrhunderts verschwand vielerorts die Geissel von der Gadenwand. Die Mäni und Zwick
wurden durch Einachser und Traktor abgelöst, und
damit die Bauernpeitsche durch den Gashebel. Die Kunst des Chrüzlistreichs
wurde kaum mehr an die nächste Generation weitergegeben; ja sie verkümmerte gar
bei der damals älteren Generation.
Der Schwyzer
Fabrikant und Kulturförderer Max Felchlin erkannte
die Erosion im Chrüzlistreich. Nicht tatenlos
zusehend, wie ein Schwyzer Brauchtum langsam verebbte, suchte er
Gleichgesinnte. Unter seiner Leitung fanden sich im 1967 Jakob Hunziker, Daniel
Pfyl, Adalbert Spichtig,
Joachim Weber, Albert Wettstein, Balz Holdener, Albin
Blersch und weitere Chlepfer
zusammen. Gemeinsam wurde eine Schwyzermeisterschaft
im Chrüzlistreich entworfen, um im Wettstreit den
Besten zu erküren; dies in Zusammenarbeit mit dem schweizerischen und
schwyzerischen Trachtenverein.
Am 6. Januar
1968 stellten sich auf dem Schwyzer Hauptplatz 4 Junioren-, 23 Haupt- und 10
Seniorenkategorie-Chlepfer im weissen Hirthemd der Jury, bestehend aus Daniel Pfyl,
Felix Bürgi und Balz Holdener. Franz Betschart aus
Rickenbach war in den Benotungskriterien Fertigkeit, Klang und Haltung am
Gefälligsten, sodass er als Tagessieger einen Lorbeerkranz und den Titel „Schwyzermeister im Chrüzlistreich“
in Empfang nehmen durfte. Als Hauptpreis gewannen die beiden Besten, Franz
Betschart und Karl Steiner aus Galgenen, eine wöchige
Romreise mit den schweizerischen Trachtenleuten, welchen Max Felchlin als OK-Präsident aushändigen durfte.
Nach diesem
Starterfolg entwickelte sich das Priis-Chlepfen
langsam, aber stetig. Nach dreimaligem Gewinn der Schwyzermeisterschaft
wechselte Franz Betschart, Rickenbach, 1971 in die Jury und übernahm den
Vorsitz des neugebildeten OK’s, da sich der
schweizerische und schwyzerische Trachtenverein nach der 4. Austragung vom
Dreikönigstag 1971 zurückzog; das ebenfalls vakante Amt des Kassiers übernahm
Sigmund Tschümperlin, welcher es bis 2008 umsichtig
erfüllte. Seit 1968 erhielt der Schwyzermeister eine
Schelle als Wanderpreis (ab 1972 auch die Sieger der Schüler- und
Juniorenkategorie), welcher nach dreimaligem Gewinn endgültig in seinen Besitz
überging. Seit 1972 wird jedem Teilnehmer ein alljährlich anderes Andenken
abgegeben (zum Anfang ein Triecheli) und alle Sieger
erhalten einen Lorbeerkranz.
In mehreren Chlepferkursen seit 1972 vermittelte die Jury ihr Können
weiter, was sich in steigenden Teilnehmerzahlen und höherer Vortragsqualität
widerspiegelte. In vielen Dörfern der Region haben sich ab den 70er Jahren
Trainingsgemeinschaften gebildet, wo erfahrenen Chlepfer
sich auch um den Nachwuchs kümmern und das Handwerk des Chrüzlistreich
weitergeben. Am Dreikönigstag 1974 machten bereits 30 Schüler und Junioren,
zwei Jahre später 31 Schüler und 28 Junioren am Wettkampf mit.
Anlässlich
der 10. Schwyzermeisterschaft 1977 nahmen 145
Personen teil, was bis heute Rekord bedeutet. 30 Schüler, 43 Junioren und 69
Senioren stiegen auf die Bühne, um ihr Können vorzutragen. Dieser Zenit basiert
auf der Konstellation, dass viele altgediente Chlepfer
nochmals mitmachten und die Nachwuchsarbeit Früchte trug. Insgesamt bildete
dieses Jubiläum ein Meilenstein im Erhalt des Kulturgutes Chrüzlistreich,
denn neben hoher Beteiligung waren auch die Leistungen exzellent.
Die
Ranglistenspitze zierten Namen, welche bisher und vor allem in den folgenden
Jahren die Szene prägten. Der Schüler Werner Fässler,
Arth, stand am Beginn seiner einzigartigen Karriere, während der Junior Edwin
Schuler, Ingenbohl, bereits am Höhepunkt stand, und die drei Erstplazierten der Senioren, Guido Schmidig
aus Seewen, Walter Fässler
aus Arth und Hermann Betschart aus Schwyz, jene Zeit abwechselnd dominierten.
In der neu geschaffenen Damenkategorie beteiligten sich 3 junge Frauen mit
mässigem Erfolg, weshalb diese bis heute die einzigen Wettkampfchlepferinnen
blieben; seit 1978 ist der Anlass wieder eine reine Männersache.
Das zweite
Jahrzehnt verlief zwar weniger stürmisch, war aber von einer kontinuierlichen
Weiterentwicklung geprägt. Anlässlich der 20. Austragung im 1987 erreichte der
Schülersieger Andi Grossmann aus Küssnacht 31 von möglichen 35 Punkten, der
Juniorengewinner David Föhn, Muotathal, 32 ½ Punkte
und der Schwyzermeister Erwin Föhn, Muotathal, 33 ¾ Punkte, was die vorzüglichen Vorträge
unterstreicht.
Die
Teilnehmerzahlen pendelten sich bei 100 Chlepfern
über alle Kategorien ein und das Priis-Chlepfä war
mittlerweile ein fester Bestandteil im kulturellen Jahresprogramm. Bedingt
durch seine zunehmende, politische Arbeit hat nach dem Priis-Chlepfä
1987 OKP Franz Betschart die Jury verlassen und den Vorsitz an Felix Bürgi
übergeben.
Die 700
Jahr-Feier der Eidgenossenschaft wurde 1991 in der
Wiege der heutigen Schweiz mit vielen Anlässen übers ganze Jahr abgehalten.
Natürlich wollten die Chlepfer den Reigen eröffnen,
so wie sie es sich am Greifeln und an den Umzügen
gewohnt sind. Die 25. Austragung stand zwar erst am Dreikönigstag 1992 an, doch
in Anlehnung des Nationalen Jubiläums haben die Chlepfer
am 6. Januar 1991 mit dem 25. Gründungs-Priis-Chlepfä den Startknall zu einem Veranstaltungsmarathon in
der Urschweiz gegeben. Mit Festschrift, Festkonzert und Unterhaltungsabend am
5. Januar wurde das silberne Jubiläum gebührend gefeiert und am nächsten Tag
der Wettkampf abgehalten. Im über 120-köpfigen Teilnehmerfeld stellte eine
Familie aus Küssnacht zwei von drei Siegern: Riesentalent Andi bei den Junioren
und sein Vater, der Routinier Richard Grossmann bei den Senioren, womit er zum
zweiten Mal den Schwyzermeistertitel holte.
Im Verlaufe
des Jahres 1992 verstarb mit Max Felchlin der
Initiant und Förderer des Priis-Chlepfens sowie mit
Balz Holdener ein begeistertes Jurymitglied der
ersten Stunde, im 2000 mit Alois Schmidig und im 2010
mit Franz Suter zwei weitere Enthusiasten in der Jury. Schwere Stunden musste
das OK im Winter 2011/12 mit dem Tod von Kassier Sigmund Tschümperlin
und Albin Blersch durchmachen. Letzterer verschied
gar allzu früh kurz nach dem Priis-Chlepfä an
Herzversagen, womit das letzte Gründungsmitglied und die eigentliche Seele im
OK abtrat. Im Oktober 2020 verstarb Josef «Sebi» Gwerder einem Krebsleiden,
nachdem er noch 10 Tage zuvor von der Krankheit stark gezeichnet an der
OK-Sitzung teilnahm. Nach 15 Wettkampfteilnahmen von 1968 – 87 war Sebi seit 1988 als Speaker mit seiner ruhigen,
verlässlichen Art, gespickt mit Schalk, die Stimme des Anlasses. Er kannte die Chlepfer-Szene wie nur ganz wenige. Seit Jahren hat er die
wunderschönen Präsente mit Herzblut und Detailgenauigkeit zu unschlagbar tiefen
Kosten fabriziert. Das beste Beispiel dafür ist die Gabe zum 50 Jahr-Jubiläum,
wo er die Idee hatte, sie entwarf, umsetzte und in unzähligen Stunden
meisterhaft herstellte.
Die Lücken im
ständigen OK konnten über die Jahre immer wieder mit altgedienten, erfahrenen Chlepfern oder bei Bauchef Albin Blersch mit seinem Sohn laufend gefüllt werden: in der Jury
mit Franz Suter (1980 - 2000), Hermann Betschart (1988 - 2018), Toni Gwerder (1993 – 2004), Beat Ablondi
(1998 - 2017), Werner Fässler (1998 – 99), Xaver Bürgler (2000 – 04), Erwin Auf der Maur (2001 - 2019),
Stefan Bürgler (ab 2005), Heiri
Schelbert (ab 2008), David Föhn (ab 2017), Josef Nauer (ab 2018) und Beat Notz (ab
2019), als Schreiberling (Aktuar) mit Noldi Schnüriger seit 1982 der einzige Nichtchlepfer,
als Kassier seit 2009 Adolf Gwerder, als Bauchef seit 2013 Adrian Blersch
und schliesslich seit 2020 als Speaker Pirmin Bürgi.
Nach dem Dreikönigstag 1997 demissionierte Felix Bürgi mit 30 aktiven Jahren
als Jurymitglied und 10 als OKP, seine Nachfolge traten Toni Gwerder (1998 - 2004), Noldi Schnüriger (2005 - 2012) und Stefan Bürgler
(seit 2013) an. Von 1998 - 2011 amteten Hermann Betschart und von 2012 - 2021 Heiri Schelbert als Juryobmänner,
seit 2022 bekleidet nun Josef Nauer dieses Amt. Zum
Glück hat Albin Blersch seinen Sohn rechtzeitig ins
Geheimnis des gratis abgegebenen Wiikaffees
eingeweiht, womit diese Tradition über seinen Tod hinaus bewahrt wurde.
Mit Walter Fässler aus Arth (Jahrgang 1929) als dreimaliger Sieger
(1976, 1980, 1982) hat eine Familiendynastie begonnen, die einzigartig ist. Er
war nicht nur ein ausgezeichneter Chlepfer, sondern
noch vielmehr ein begabter Tüftler, der das Sportgerät „Geissel“
weiterentwickelt hat. Seit Jahren produziert und repariert er die meisten
Geisseln, denn nur er beherrscht die Herstellung des perfekt auf den Chlepfer abgestimmten Materials. Als Geisselmechaniker ist
er weitherum bekannt, seine Nachfolge ist aber bis heute offen. Mit dieser
Ausgangslage hat Sohn Werner während mehr als 20 Jahren die Wettkämpfe geprägt.
Seine fehlerfreien Vorträge gepaart mit wuchtigem Knall, seine ruhige Haltung,
der angenehme Rhythmus und die Leichtigkeit im Umgang mit der Geissel haben ihm
seit 1992 11 Mal den Schwyzermeistertitel gebracht.
Beim ihm erscheint das Chlepfen ein Kinderspiel und
lässt die enorme Kraft und das jahrelange Training dahinter glatt vergessen.
Wenn er auf den Wagen steigt, ist ihm die Aufmerksamkeit der Zuschauer gewiss.
An 30 Meisterschaften hat er teilgenommen und dabei 28 Kränze in allen
Alterskategorien gewonnen, was für sein Ausnahmetalent spricht. Aber auch für
seine Treue zu diesem Wettkampf, denn wenige haben mehr Teilnahmen aufzuweisen
als er. Zwischenzeitlich ist mit seinem Sohn Marco die dritte Generation
erfolgreich eingestiegen. Viermal hat er die Schülerkategorie gewonnen und im
2022 auch bei den Junioren obsiegt.
Als 1997
Alois Inderbitzin (Lützler), Seewen,
mit Jahrgang 1927 gesundheitsbedingt ein letztes Mal auf den Wagen stieg, war
dies seine 30. Teilnahme in Folge. Damit trat der letzte Chlepfer
der ersten Stunde mit Wehmut ab; als Zuschauer blieb er jedoch erhalten.
Seither führt die Liste der treuesten Chlepfer Franz
Betschart (Jahrgang 1956), ebenfalls aus Seewen
stammend und nun in Lauerz wohnhaft, mit 53
Wettkämpfen (seit 1970 ununterbrochen) an, gefolgt von Alfred Ulrich, Schwyz,
mit 50, Beat Schelbert, Muotathal,
mit 45, Armin Stalder, Greppen, mit 44, Daniel Schelbert, Rickenbach, mit 42, Walter Stössel, Göschenen (ausgewanderter Heimwehschwyzer) mit 41 sowie
Johann Betschart, Muotathal, David Föhn, Muotathal, Beat Schuler, Rothenthurm,
Alois (Louis) Stössel, Illgau, und den Brüdern Kaspar
& Xaver Ulrich, Schindellegi, mit je 40 Starts.
Insgesamt haben bisher 46 Chlepfer je 25 und mehr
Teilnahmen zu verbuchen, was für die ausserordentliche Treue vieler Chrüzlistreicher spricht.
Das 50
Jahr-Jubiläum wurde im Jahre 2017 begangen und mit einem festlichen
Rahmenprogramm geschmückt. Der traditionelle Wettstreit war mit Einlagen des
Alphornduos Röbi und Ruedi Imlig,
der Schafgeisselgruppe Kriens und den Goaslschnöller
aus dem Südtiroler Passeiertal umrahmt. Am Dreikönigsabend wurde mit den
geladenen Gästen aus dem Chlepferumfeld in einer
schlichten Feier Rückblick gehalten. Da gleichzeitig die Schwyzer Greifler ihr 100 Jahr-Jubiläum zelebrierten, fand der
Anlass in deren Festhütte (Alphüttli) statt, womit
die Verbundenheit unterstrichen wurde. Der Wettkampf selber mit 141 Chlepfer (die zweithöchste Teilnehmerzahl nach 1977) war
jubiläumswürdig und wurde von der Patronatsstiftung des ursprünglichen
Initianten Max Felchlin grosszügig unterstützt. Von
diesem Elan hat die Schwyzermeisterschaft im Chrüzlistreich seither profitiert, haben seither 137 Chlepfer im 2018, 138 im 2019 und 123 im 2020 teilgenommen.
Leider hat der Anlass im 2021 pandemiebedingt (Covid-19-Virus) nicht
stattfinden können. Auch im 2022 galten noch virusbedingte Einschränkungen,
sodass zwar der Anlass durchgeführt wurde, aber unter Ausschluss des Publikums,
dafür wurde eine Übertragung mittels Livestream angeboten und rege genutzt. Ab
2023 findet das Priis-Chlepfä wieder im gewohnten
Rahmen statt.
Dank der
aufopfernden Arbeit von Jugendbetreuern in den Dörfern des Kantons Schwyz und
sogar in umliegenden Kantonen nehmen Jahr für Jahr viele Schüler und Junioren
teil, die zusammen 40 – 50 % der Teilnehmer stellen. In Trainingsgemeinschaften
wird ab dem Herbst in Muotathal, Illgau,
Schwyz, Arth, Küssnacht, Einsiedeln, Weggis, Wolfenschiessen und weiteren Orten fleissig im Freien,
unter gedeckten Vorplätzen und in offenen Hallen geübt. Unter den strengen
Augen der Routiniers wird am Schwung, an der Technik und am Klang gefeilt.
Schliesslich wollen alle am Dreikönigstag in Schwyz auf dem Wagen brillieren,
wenn möglich einen der ganz wenigen Kränze erobern oder zumindest den
mitgereisten Trainer nicht enttäuschen.
Ob alt oder
jung, alljährlich zeigen sie das Brauchtum des Chrüzlistreichs
einem breiten Publikum, pflegen es, vererben es weiter und sorgen so zum Erhalt
eines schönen Stückes Schweizer Kultur.